Wieder einmal Irak, wieder einmal US-Soldaten, wieder einmal Empörung. Der Grund: ein Video, in welchem GIs auf der Ladefläche eines fahrenden Wagens sitzen. Einer hält eine Wasserflasche hinaus und man amüsiert sich über die offensichtlich Hunger und Durst leidenden Kinder, die der Flasche hinterherrennen. Ein Junge hält besonders lange durch, geht allerdings nach der Strapaze auch noch leer aus - als der GI die Flasche fallen lässt, stürzen sich sofort andere Bewohner auf sie.
Und noch ein Video - eine Gruppe Iraker wird dabei erwischt, wie sie Holz stiehlt. Die Besatzung eines US-Panzers schreitet zur Tat und walzt das Auto platt. Der Kommentator des Films berichtet, dass der Besitzer später erklärte, dass er Taxifahrer sei und nun seine Existenzgrundlage zerstört worden war.
Video 1Video 2Schauplatzwechsel: Gettysburg Mitte des 19. Jahrhunderts. Hier hatte gerade eine erbitterte Schlacht zwischen den Nord- und den Südstaaten getobt. Eine Untersuchung ergab, dass 90% der 27.000 Musketen, welche bei den Toten und Sterbenden gefunden wurden, noch geladen waren - etliche darunter enthielten sogar mehrfache Ladungen, eine ganze 23. Die Soldaten stürzten sich also in die Schlacht, waren bereit für ihr Heimatland zu sterben - aber sie waren nicht dazu bereit, auf einen anderen Menschen zu schießen. Wer tatsächlich den Abzug betätigte, schoß in den meisten Fällen in die Luft, über die Köpfe der Feinde hinweg. Das Töten ist keine leichte Angelegenheit.
Zweiter Weltkrieg: nach einer Befragungvon Soldaten stellte sich heraus, dass lediglich 15-20% der Männer dazu bereit waren, auf einen Menschen zu schiessen, der sich auf offenem Feld bewegte.
Die Konsequenz? Durch Desensibilisierung, Vorbilder, klassische und operante Konditionierung erreichte man bereits im Vietnamkrieg, dass 90% der Soldaten bereit waren zu töten. Man muss einen Menschen nur genügend erniedrigen (Drill und Schikane in der Kaserne), ihn seiner Individualität berauben (Uniform, geschorener Kopf), ihn immer und immer und immer wieder auf heutzutage lebensecht wirkende Puppen schießen lassen, das Töten eines Menschen mit positiven Erfahrungen verbinden (anschließende Sauf- und Fressgelage), und ihm eine Person vor die Nase setzen, die Aggression und Gewalt verkörpert - und schon verliert dieser Mensch seine Hemmung zu töten. Das menschliche Leben ist nichts mehr wert, Gewalt ist etwas normales in dieser Welt.
So konditioniert werden sie dann in den Krieg geschickt. Ein Krieg, der nicht nur auf dem Schlachtfeld tobt, sondern der Einzug gehalten hat in die Dörfer und Städte - Orte, an denen sich auch unschuldige Zivilisten aufhalten. Aber sind sie nicht auch Bewohner des Feindeslandes, sind sie nicht auch "der Feind"? Dem Soldaten wurde tagtäglich eingetrichtert "Ein Leben hat keinen Wert!", "Der Feind verdient keine Gnade, er verdient den Tod!".
Wenn diese Soldaten nach Hause zurückkehren, dann kehren sie auch in die "normale Welt" zurück. Viele werden danach auffällig - sei es krimineller Art, oder sei es, dass sie Psychosen entwickeln. Psychische Wracks sind sie alle.
Kann man sich dann wirklich noch über Vorkommnisse, wie sie in den Videos zu sehen sind, empören? Sind sie nicht vielmehr grausige Konsequenz der Zerstörung von Werten und von Moral? Ich will das Verhalten der GIs nicht verteidigen und nicht entschuldigen, aber mich können solche Auswüchse unmenschlichen Handelns nicht mehr überraschen - wie man sät, so erntet man. Schickt man gehirngewaschene Kampfmaschinen in die Welt, darf man nicht erwarten, dass sie kleinen Kindern Blumen schenken.
------------
Einige Passagen dieses Textes nehmen Bezug auf einen
Artikel des ehemaligen Militärhistorikers und Psychologieprofessors der US-Militärakademie West Point, Dave Grossmann.