Ich weiss es besser...
Vor 20 Jahren habe ich mal ein kleines Gedicht geschrieben. Es handelte von der Welt, so wie ich sie mir wünschte mit lachenden Kindern, die Tag für Tag genügend zu essen haben, lesen und schreiben können und sich nicht darum kümmern müssen, ob morgen ihre Eltern noch leben. In dieser Welt waren alle Menschen reich und jeder half dem anderen. Für manchem mochten meine Worte illusorisch gewirkt haben, doch ich wollte die Welt verändern. Trotz all der Hoffnungslosigkeit der anderen hielt ich an meinen Träumen fest. Ich wusste es besser.
Vor 10 Jahren, damals in der Schule während dem Unterricht habe ich nervös auf einem Notizblock meine Gedanken niedergeschrieben. Von meiner noch währenden Hoffnung, alles könnte sich ändern, meine Träume wären nicht umsonst gewesen und die Welt würde nicht verkommen. Während ich damals diese Zeilen schrieb, begann Hunderte von Meilen entfernt ein Krieg und Tausende Menschen wurden getötet - ermordet wegen dem schwarzen Gold, welches Besitz von den Menschen ergriffen hatte. Und niemand dachte an das unvermeidbare, als die Ölquellen angezündet wurden und sich der Himmel verdunkelte. Doch die ganze Welt erzählte vom Sieg der Zivilisation über die Barbaren und das nun alles wieder auf dem richtigen Wege wäre. Ich wusste es besser.
Vor 5 Jahren saß ich am Fluss, in dem tote Fische schwammen, nachdem ein Anschlag verübt und den Fluss vergiftet hatte. Ich nahm mir ein Stück Zeitungspapier aus dem Müll und schrieb meine Ängste, meine Sorgen auf. Wer sollte sich denn jemals darum kümmern, warum sollte ich mir Mühe geben, wenn ich doch nichts verändern konnte. Ich schrieb über den Himmel, der sich grau färbte nachdem die Chemiefabrik durch eine Bombe explodiert war. In der Nacht starben über tausend Menschen an den Folgen einer Atemwegsvergiftung. Trotzdem sagten die Behörden, man solle sich keine Sorgen machen. Ich wusste es besser.
Vor 1 Jahr hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ich vor lauter Angst meine Gedanken nicht mehr niederschreiben würde. Denn das Schreiben wurde uns verboten und alle Schriften wurden vernichtet. Trotzdem nahm ich einen Stein und ritzte an die Wand einige Erinnerungen. Meine Kindheit, meine Träume und Wünsche die doch schon fast vergessen, seitdem fremde Menschen in unser Land eingedrungen und alles zerstörten, was ihnen in den Weg kam. Unsere Nachbarin, die immer sehr nett und freundlich war, lag tot auf der Straße. Man sagte uns, sie wäre überfallen worden. Ich wusste es besser.
Heute stehe ich vor einer Welt, die nicht mehr die meine ist und es auch niemals war. Der Himmel ist verdunkelt, die Wolken scheinen zu brennen, seitdem der Krieg begonnen hat. Heiße Asche regnet auf mein Haupt, doch ich nehme sie gar nicht mehr wahr. Die Häuser sind Ruinen, schwarz wie die Nacht und ausgehöhlt wie tote Bäume, und nur noch von totem Metall aufrechterhalten werden. Auf den Straßen gehen gebückte Gestalten, manche ohne Arm oder Bein, nur das letzte was sie auf dem Körper tragen, ist ihnen vom Kriege geblieben. Meine Eltern sind tot, sie starben durch eine Mine als sie flüchten wollten. Einige Menschen erzählen mir, der Krieg würde bald vorübersein, der Friede wäre in Sicht. Ich weiß es besser.
Ob ich morgen noch lebe weiß ich nicht, denn die erhoffte Rettung ist nicht in Sicht. Ich habe mich in eine alte Baracke zurückgezogen und habe Angst. Angst vor dem was noch kommen mag was vielleicht schon längst zu Ende ist. Ist es das Ende wovon ich nachts träumte und anfing zu weinen? Ist es die Angst, vor der mich meine Mutter immer beschützte? Ist es die Trauer von der Liebe, die ich niemals fand? Niemand glaubt mehr an das Ende des Krieges, keiner glaubt mehr an einen Neubeginn. Die Erde ist dem Untergang geweiht.
Ich weiß es besser...oder nicht?
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Geschrieben von
Alper | 27.11.2006 um 11:24 Uhr