nachtgeschichten 16 - ein erotischer traum
sie ist ein phantom. eine hexe. ein guru. eine heilerin. und sie kommt immer nachts.
woher ich sie kenne? sie hat einen kommentar unter einem foto von mir hinterlassen.
ich finde es außergewöhnlich, wenn sich jemand die mühe macht, etwas zu einer
anderen person zu schreiben â013 einfach so, nur weil es nett ist. und sie hat etwas
außergewöhnliches geschrieben. deshalb habe ich geantwortet.
seitdem kenne ich sie. oder jedenfalls das, was sie von sich im internet preisgibt.
sie ist sehr attraktiv, sie fährt ein schnelles auto, sie schreibt fehlerfrei und
sie hat eine freundin, mit der sie zusammen lebt und die sie liebt.
das meiste von ihr kenne ich natürlich nicht. ich weiß nicht, wie sie redet, ob sie
einen akzent hat oder nicht. ich weiß nicht, ob sie groß ist oder klein, wie sie
sich anfühlt, ob sie lackierte fingernägel hat oder nach chanel nr. 5 duftet.
was ich weiß: sie fasziniert mich - wie ein guru. sie schreibt dinge, die andere
nicht mal denken. sie zieht mich magisch an den pc â013 wie eine hexe. ich kann nicht
einschlafen, ohne wenigstens einmal zu schauen, ob sie da ist. und sie findet meine
wunden stellen und geht ganz vorsichtig damit um â013 wie eine heilerin. sie fühlt mit
mir, sie gibt was von sich, sie tut mir gut. und sie hält ihre versprechen. wer tut
das heute noch? sie.
und dann sitze ich da - fast jede nacht: mit herzklopfen klappe ich den laptop auf.
wenn ich ihre mails lese, werde ich ganz kribbelig. und wenn ich sehe, dass sie
online ist, weil eine kleine grüne schrift auf ihrem profil das verrät, dann bin ich
wie vor dem computer gefesselt.
keine mail gleicht der anderen. wir diskutieren probleme. wir tauschen gedanken aus,
auch geheime. sie weiß dinge von mir, die ich noch nie jemandem erzählt habe.
sie nimmt mich mit in eine neue welt. sie erzählt mir von sachen, von denen ich bis
jetzt keine ahnung hatte. sie erlebt dinge, die ich auch gerne kennen würde. eine
nacht lang spielt sie mit dem feuer, in der nächsten nacht tritt sie es aus.
weil es nicht geht. irgendwo zwischen uns ist eine grenze. keine von uns hat sie bis
jetzt überschritten. und das ist auch gut so. die freiheit des einzelnen hört da
auf, wo das glück den nächsten bedroht ist. wir halten uns daran. auch wenn es
schwer ist. sehr schwer.
sie ist mein lebender erotischer traum. und wird es auch bleiben.
Autor
Geschrieben von
sannivosten | 16.07.2007 um 14:36 Uhr