nachtgeschichten 7 - die nacht des grauens
das telefon auf meinem schreibtisch klingelt. "empfang" steht auf dem display. jetzt? frage ich mich. es ist halb zwölf uhr nachts. woher wissen die kolleginnen von der rezeption, dass ich noch im büro bin? das telefon klingelt weiter. 20 sekunden später und das licht wäre aus und ich auf dem heimweg gewesen...
ich hebe ab: "von osten". "hallo sandra", es ist michaelas stimme - meine lieblingskollegin von der rezeption. "gut, dass du noch da bist. ich habe ein problem. kannst du mal schnell kommen?" "bin unterwegs", sage ich im aufstehen und meine es so. wenn michaela um hilfe ruft, muss etwas passiert sein.
es sind ein paar meter zwischen meinem schreibtisch im bürotrackt des hotels bis zur rezeption in der lobby. ich schaffe es in sekunden. auf den ersten blick sieht alles normal aus. hinter der rezeption steht eine neue kollegin, deren namen ich noch nicht kenne. meine augen suchen das luxuriöse foyer ab. um diese zeit ist nicht mehr viel los, aber die großen stehlampen tauchen die gesamte eingangshalle zwar in ein gemütliches, aber nicht allzu helles licht. deshalb brauche ich ein paar sekunden, bis ich michaela entdecke. sie steht etwas abseits. bei ihr ist ein junges mädchen. die beiden stehen eng zusammen, das mädchen dreht mir den rücken zu. erst als ich näher komme, sehe ich, dass es in tränen aufgelöst ist. wimperntusche, kayal, das komplette make up zerfließt unter ihren tränen. sie trägt wenig mehr als unterwäsche und sieht fürchterlich aus.
"was ist passiert?", frage ich. michaela zuckt mit den schultern. "ich habe keine ahnung. sie stand plötzlich vor der rezeption", sagt sie und zeigt auf das weinende mädchen, das unter ihrem blick zusammen sinkt. "und sie spricht kein wort. "
ich nehme die kleine in den arm und führe sie in mein büro. das ist zwar winzig, aber besser als die lobby, wo wir allmählich aufsehen erregt haben. ich mache licht. im hellen sieht das mädchen noch schlimmer aus. verängstigt, verschüchtert und hilflos. ich packe die kleine in meine jacke, damit sie nicht mehr so erbärmlich rumlaufen muss.
was ich aus dem mädchen heraus bekomme, ist grauenhaft. sie ist 15 jahre alt, ukrainerin und seit zwei wochen in deutschland. seit dieser zeit wird sie quasi pausenlos an männer verkauft. der letzte hat sie mit gegenständen traktiert und gequält, er ist gast in unserem hotel - zimmer 3211. was finden männer an diesem armen häufchen elend erregend, frage ich mich.
ich lasse yelena, so heißt die kleine, ein ruhiges zimmer zurechtmachen, in das sie sich zurückziehen kann, duschen, schlafen oder fernsehen, was immer sie will. sie bekommt einen bademantel und etwas zu essen. michaela und ich versuchen, klamotten für sie aufzutreiben. dann gehe ich zurück in mein büro. die digitaluhr auf meinem schreibtisch zeigt 1.06 uhr. ich rufe die polizei - so leicht kommt der typ nicht davon.
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sannivosten | 23.01.2007 um 13:44 Uhr